Wenn die Sterne Politik machen
Politik inszeniert sich gern als Reich der Vernunft. Da regieren Zahlenkolonnen, Machtanalysen und Strategiepapiere. Doch je größer die Verantwortung, desto unsicherer wird der Boden unter den Füßen der Mächtigen. Und in solchen Momenten greifen Herrscher zu alten Rezepten: Sie suchen Rat bei den Sternen.
Seit Jahrtausenden diente die Astrologie als heimliche Staatskunst. Babylonische Könige verschoben Feldzüge, wenn Saturn schlecht stand. Römische Kaiser druckten ihr Sternzeichen auf Münzen, als sei der Kosmos selbst ihr PR-Berater. Renaissancefürsten ließen sich von Hofastrologen Termine für Krönungen und Kriege setzen. Selbst der Söldnerfürst Wallenstein vertraute im Dreißigjährigen Krieg auf seinen Astrologen Giovanni Battista Seni – bis zum bitteren Ende.
Doch die Geschichte hört dort nicht auf. In der Moderne, die sich so gerne aufgeklärt gibt, taucht die gleiche Sehnsucht nach kosmischer Absicherung wieder auf. Heinrich Himmler ließ sich von Karl Maria Wiligut, einem selbsternannten Seher, germanische Sternendeutungen ins Ohr flüstern, während er sich von Felix Kersten die Schmerzen aus dem Leib massieren ließ. Ronald und Nancy Reagan gaben nach einem Attentat Termine nur noch frei, wenn die Hausastrologin Joan Quigley sie für günstig erklärte. In Indien war es bei Indira Gandhi fast selbstverständlich, Jyotish-Berater in politische Entscheidungen einzubeziehen. Und sogar der deutsche Medienmogul Axel Springer, der die Nachkriegsöffentlichkeit mit seinen Zeitungen prägte, ließ diskret Astrologen zu Rate ziehen.
Astrologie war also nie nur ein Privatvergnügen für verunsicherte Seelen. Sie durchzog Paläste und Kanzleien, Kriegszelte und Vorstandsetagen. Immer ging es um dasselbe: den Versuch, das Unberechenbare mit einem Muster zu versehen, das größer wirkt als menschliche Willkür. Zwischen Angst, Machtphantasie und Selbstinszenierung spannt sich so eine Linie von Babylon bis Springer – ein roter Faden, der zeigt, wie sehr auch die vermeintlich Rationalen dem Sternenlicht verfielen.
1. Die Ursprünge – Astrologie als Staatskunst
Die Geschichte der politischen Astrologie beginnt nicht mit ein paar gelangweilten Hofdamen, die im 16. Jahrhundert Horoskope zogen, sondern viel früher – in Babylon. Dort, im Schatten der Zikkurate, war der Himmel kein romantisches Sternenzelt, sondern eine staatliche Datenbank. Jeder Planet, jeder Komet, jeder Sonnenaufgang wurde akribisch notiert. Nicht aus Neugier, sondern aus nacktem Machtinteresse: Der König wollte wissen, ob die Götter den nächsten Feldzug absegneten oder ob er besser noch einen Monat lang im Palast sitzen blieb.
Die babylonischen Hofastrologen hatten den Status von Ministern. Ein ungünstiger Mars-Aspekt konnte zur Folge haben, dass ein geplanter Krieg verschoben wurde. Manchmal gingen die Herrscher noch weiter: Sie setzten für eine Weile einen „Ersatzkönig“ ein – einen armen Tropf, der auf den Thron gesetzt wurde, um die schlechten Omen auf sich zu ziehen. Währenddessen blieb der echte Herrscher sicher im Hintergrund. Läuft alles glatt? Gut. Läuft es schief? Der Ersatzmann „stirbt“, und der Kosmos ist wieder besänftigt. Zynischer kann man Astrologie kaum instrumentalisieren.
Auch in Ägypten war der Himmel Staatsangelegenheit. Die Pharaonen verstanden sich als Söhne der Sonne, und die Sternbilder dienten ihnen nicht nur zur Zeitrechnung, sondern auch zur Legitimation. Ganze Tempelanlagen wurden nach Himmelsrichtungen ausgerichtet, damit das Licht der Sterne den Herrscher im richtigen Moment umstrahlte. Architektur als kosmische Bühne.
Rom schließlich brachte das Ganze auf die politische PR-Ebene. Kaiser Augustus nutzte sein Sternzeichen Steinbock so offensiv, dass es zum Herrschaftssymbol wurde. Münzen, Statuen, Reliefs – überall tauchte das Tierkreiszeichen auf. Die Botschaft war eindeutig: „Seht her, ich bin kein gewöhnlicher Mensch, ich bin vom Himmel abgesegnet.“ Es war weniger der Glaube an die Sterne als der geschickte Einsatz ihrer Symbolkraft, um Macht zu untermauern.
So spannt sich schon in der Frühgeschichte ein Muster, das bis in die Gegenwart reicht: Astrologie war nie bloß privates Hobby. Sie war politische Währung. Wer die Sterne kontrollierte – oder zumindest behauptete, sie zu deuten – kontrollierte auch ein Stück weit das Volk.
2. Mittelalter & Renaissance – Astrologen an der Krone
Mit dem Untergang Roms verschwand die Astrologie nicht – sie wechselte nur den Schauplatz. Im Mittelalter und der Renaissance saßen Astrologen wieder dicht an den Thronen, kaum weniger wichtig als Leibärzte oder Hofkapläne. Und manchmal waren sie alles drei in einer Person.
In Konstantinopel und an europäischen Fürstenhöfen galt die Sternendeutung als seriöses Handwerk. Wer lateinisch konnte, las nicht nur Aristoteles, sondern auch Ptolemäus. Horoskope wurden für Neugeborene erstellt, um das Schicksal des Hauses abzuschätzen. Ganze Dynastien gaben sich dem kosmischen Narrativ hin: Wenn die Sterne es so wollten, dann war die Herrschaft eben göttlich legitimiert.
Besonders spektakulär ist der Fall von Elisabeth I. von England. An ihrer Seite stand der Mathematiker, Mystiker und Astrologe John Dee – ein Mann, der sowohl Seekarten zeichnete als auch Engel beschwor. Dee beriet die Königin bei politischen Entscheidungen, angeblich sogar bei der Wahl des Krönungstermins. Für die englische Seemacht war er Gold wert: Seine Kenntnisse in Navigation und Astrologie flossen ineinander. Was für die Gegner nach Hexerei aussah, war für Elisabeth schlicht strategisch: Ein kluger Kopf, der die Sterne deuten und Schiffe über den Atlantik führen konnte, war doppelt nützlich.
Und dann war da Nostradamus – der wohl berühmteste Astrologe aller Zeiten. Geboren als Michel de Nostredame in Südfrankreich, wurde er zunächst als Arzt bekannt, bevor er sich der Astrologie zuwandte. Seine Sammlung kryptischer Vierzeiler, die „Centurien“, machten ihn zu einer Legende. Nostradamus bewegte sich am Hof von Katharina von Medici, wo er nicht nur Horoskope erstellte, sondern auch politische Prophezeiungen wagte. Die Königinmutter sah in ihm eine Art kosmischen Berater, jemand, der in unruhigen Zeiten Orientierung bot. Seine Verse wurden so geschickt formuliert, dass man sie fast beliebig deuten konnte – ein Traum für SEO-Schreiber von heute und ein nützliches Werkzeug für Machthaber von damals. Bis heute wird Nostradamus mit Vorhersagen über Kriege, Naturkatastrophen und den Aufstieg von Herrschern in Verbindung gebracht. Seine Figur steht exemplarisch dafür, wie Astrologie in der Renaissance politische Legitimation bekam: Wer Nostradamus auf seiner Seite hatte, konnte das Gefühl vermitteln, vom Schicksal selbst gestützt zu sein. Kein Wunder, dass sein Name noch immer in den Rankings oben mitschwimmt, sobald es um „Astrologie“, „Prophezeiungen“ und „Politik“ geht.
Auch in Frankreich griff die Krone also zu den Sternen. Katharina von Medici, Königinmutter und politische Spinne im Netz des 16. Jahrhunderts, hielt sich gleich mehrere Astrologen. Nostradamus war ihr prominentester Berater, aber nicht der einzige. Seine kryptischen Verse gaben Katharina ein Gefühl von Kontrolle inmitten des Bürgerkriegs. Für Außenstehende mag es wie Aberglaube wirken, für die Herrscher war es Machtpolitik.
Astrologen waren Projektionsflächen: Sie gaben Sicherheit, sie lieferten Erzählungen, und sie verschafften der Politik einen Anstrich kosmischer Ordnung. Dass ihre Prognosen oft vage oder im Nachhinein passend gemacht wurden, störte niemanden – Hauptsache, das Gefühl stimmte.
3. Der Dreißigjährige Krieg – Wallenstein und Seni
Im 17. Jahrhundert tobte Europa im Fieber des Dreißigjährigen Krieges. Hunger, Pest und Söldnerheere verwandelten den Kontinent in ein Trümmerfeld. Und mitten in diesem Chaos stand Albrecht von Wallenstein – General, Politiker, Unternehmer. Einer, der den Krieg wie ein Geschäft betrieb, Armeen wie Aktienpakete aufstellte und ganze Landstriche als Investition betrachtete. Aber hinter all seiner militärischen Brillanz steckte eine tiefe Unsicherheit, die ihn immer wieder zu einem Mann führte: Giovanni Battista Seni, seinem Hofastrologen.
Seni war kein Beiwerk, sondern fast ständiger Begleiter. Er saß im Lager, wenn Feldzüge geplant wurden, und schlug Termine vor, die „kosmisch günstig“ waren. Wallenstein, ohnehin misstrauisch und von Schwermut geplagt, vertraute ihm blind. Zeitgenossen spotteten, dass der Herzog keine Schlacht wagte, ohne vorher in den Sternen nachzusehen, ob Mars und Jupiter ihm wohlgesinnt seien. Für seine Anhänger war Seni ein Garant für göttliche Fügung – für seine Gegner ein Beweis, dass Wallenstein von Aberglauben beherrscht war.
Ironischerweise hatte Seni durchaus recht, als er warnte: Wallenstein sei in tödlicher Gefahr. Der General, längst in Machtspiele zwischen Kaiser und Gegnern verstrickt, wurde 1634 in Eger von kaiserlichen Offizieren ermordet – trotz astrologischer Absicherung. Manche sahen darin den ultimativen Beweis, dass die Sterne eben doch nichts nützen, wenn Dolche gezückt werden. Andere lasen es so: Die Prophezeiung habe sich erfüllt, nur zu spät verstanden.
Wallenstein bleibt damit ein Paradebeispiel für die Verquickung von Krieg, Politik und Astrologie: Ein Mann, der ganze Heere befehligte, vertraute am Ende mehr den Sternbildern als den Berichten seiner Spione. Und seine Geschichte zeigt, dass selbst in der angeblich „modernen“ Neuzeit die Sehnsucht nach kosmischem Halt ungebrochen war.
4. Aufklärung und Napoleon – Omen in Zeiten der Vernunft
Die Aufklärung verkündete den Sieg der Vernunft. Philosophen verspotteten den Aberglauben, Astronomen erklärten die Planeten zu leblosen Körpern, und Herrscher inszenierten sich als rational aufgeklärte Monarchen. Doch die Sterne verschwanden nicht aus den Köpfen – sie wechselten nur ihren Platz. Während Gelehrte Horoskope als „Schwindel“ verurteilten, griffen Könige und Fürsten heimlich weiter danach.
Hofe und Herrscher in der Übergangszeit
Am Übergang vom Barock zur Aufklärung standen Herrscher wie Ludwig XIV. von Frankreich, der sich selbst zum „Sonnenkönig“ stilisierte. Versailles war weniger Palast als kosmisches Symbol – ein Bauwerk, das den König in den Mittelpunkt des Universums rückte. Auch Katharina die Große in Russland, die sich als Reformerin und „Philosophenkaiserin“ inszenierte, ließ Astrologen in ihrem Umfeld gewähren. Für sie waren Horoskope ein Werkzeug, um Entscheidungen zu untermauern und ihrer Herrschaft einen Anstrich von kosmischer Legitimation zu geben.
Selbst Goethe, das Musterkind der deutschen Aufklärung, war fasziniert von Astrologie und beschäftigte sich intensiv mit seinem eigenen Horoskop. Offiziell nannte man das „Naturforschung“, doch es zeigt: Auch die hellsten Köpfe der Epoche suchten in den Sternen nach einem Spiegel des Schicksals.
Napoleon – der Rationalist mit Zahlenmystik
Dann kam Napoleon Bonaparte, das Musterbeispiel für die Ambivalenz zwischen Aufklärung und Aberglaube. Der Korsen-General verstand sich als Meister der Strategie, der Mathematik und der Logistik. Und doch hing er an Symbolen, Omen und Glückszahlen. Er legte Termine gern nach numerologischen Mustern fest – die Zahl Acht spielte für ihn eine besondere Rolle.
Auch astrologische Deutungen flossen in sein Umfeld ein: Kometen wurden als Zeichen seines Aufstiegs gedeutet, und seine Anhänger sahen im Kosmos eine Bestätigung seines Kaisertums. Für Napoleon war das nützliches Theater: Er verstand die Macht der Symbole. Ein Kaiser, der von den Sternen „abgesegnet“ schien, war schwerer zu stürzen – zumindest in der Vorstellung des Volkes.
Der späte Nachklang: Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
Während Preußen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. noch auf nüchterne Strenge und Aufklärung setzte, öffnete sich ein späterer König wieder stärker für das Mystische: Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), spöttisch „dicker Lüderjahn“ genannt. Er regierte von 1840 bis 1861 und war bekannt für seine schwärmerische Religiosität und symbolische Denkweise.
Er ließ Berlin architektonisch prägen – die Museumsinsel, Kirchenbauten, Potsdam als romantische Residenz – und verstand diese Projekte als Ausdruck einer göttlichen Ordnung. Astrologie im engeren Sinn spielte dabei keine dominierende Rolle, doch sein Hang zu Omen, Visionen und sakraler Symbolik macht ihn zu einem Beispiel dafür, wie selbst im 19. Jahrhundert die Idee kosmischer Bestätigung in Politik und Kultur hineinwirkte.
Fazit der Epoche
Die Aufklärung brachte Skepsis gegenüber der Astrologie hervor, aber sie konnte sie nicht vertreiben. Stattdessen wandelte sich die Rolle: von offizieller Hofwissenschaft zu einer Art Schattenpraxis, die Herrscher, Dichter und Generäle weiter nutzten. Mit Napoleon erreichte diese Ambivalenz ihren Höhepunkt – ein Mann, der den Ruf des Rationalisten pflegte, aber ohne kosmische Inszenierung nicht auskam.
5. Das 20. Jahrhundert – Astrologie im Schatten des Hakenkreuzes
Die nationalsozialistische Führung war kein monolithischer Block, sondern ein Sammelsurium an Charakteren – von nüchternen Verwaltern bis zu versponnenen Esoterikern. Entsprechend unterschiedlich fiel auch ihr Verhältnis zur Astrologie aus: Für manche war sie geistige Heimat, für andere nützliche Kulisse, und für wieder andere schlicht Humbug.
Himmler – der versponnene Ordensmeister
Heinrich Himmler, Reichsführer SS, war nicht nur ein Massenmörder in Uniform, sondern auch privat voller Kleingeistigkeit und Aberglauben. Zwischen Kräuterbüchern, Hühnerhof und Homöopathie spann er eine eigene esoterische Welt. Mit Karl Maria Wiligut, einem selbsternannten Seher, baute er eine ganze Kulisse aus Runensymbolik, Astrologie und „urdeutscher“ Mythologie auf. Die Wewelsburg sollte zur Kultstätte werden, Horoskope dienten der Deutung von Schicksalspfaden. Himmler sah die SS nicht als Polizei, sondern als „Orden“, kosmisch verankert und von den Sternen legitimiert.
Parallel dazu ließ er sich von Felix Kersten, seinem finnischen Masseur, die Schmerzen aus dem Leib kneten – groteske Szenen: Mordbefehle auf dem Schreibtisch, während im Nebenraum über Mondphasen im Ackerbau sinniert wurde.
Rudolf Hess – der gläubige Fanatiker
Rudolf Hess war der wohl astrologiegläubigste unter den Spitzen des NS-Regimes. Er ließ regelmäßig Horoskope erstellen, suchte in den Sternen Bestätigung für persönliche wie politische Entscheidungen. Sein aberwitziger Alleinflug nach Schottland 1941, um einen Friedensschluss zu erzwingen, war geprägt von dieser Mischung aus kosmischem Sendungsbewusstsein und persönlicher Naivität. Die Sterne, so glaubte er, würden seine Mission tragen – die Realität war ein britisches Gefängnis.
Goebbels – der zynische Propagandist
Joseph Goebbels, der Meister der Worte, sah in Astrologie kein Werkzeug für sich selbst, sondern für die Massen. Seine Tagebücher sind voll von politischer Taktik, aber kaum von Sternenglaube. Er wusste, dass Millionen Menschen Horoskope lasen – und solange sie nützlich waren, ließ er sie als Stimmungsinstrument zu. Später, nach Hess’ Fiasko, wurden Astrologen offiziell verfolgt, von Goebbels als „Schwindler“ diffamiert. Sein Verhältnis war klar: Aberglaube war Propagandaressource, keine persönliche Überzeugung.
Göring – der Raubritter ohne Sterne
Hermann Göring war der moderne Wallenstein: Kriegsunternehmer, Selbstdarsteller, Raubritter mit Hang zu Prunk und Beute. Doch anders als sein barocker Vorgänger hatte Göring keinerlei astrologische Neigung. Für ihn zählten nur Macht, Luxus und Statussymbole. Astrologie war ihm egal – solange sie nicht in Diamanten gefasst war. Seine Inszenierung als Reichsmarschall glich Wallensteins Hofhaltung, nur ohne Sternendeuter im Hintergrund.
Der NS-Staat insgesamt
Das Regime spielte ambivalent mit Astrologie: mal als verbotenes „Schwindelwesen“, mal als still geduldete Praxis in privaten Kreisen. In der Öffentlichkeit sollte man den Glauben an kosmische Muster verdrängen – intern lebte er fort, von Himmlers Runen bis zu Hess’ Horoskopen.
Astrologie im Dritten Reich war kein einheitliches Phänomen, sondern Spiegel individueller Charaktere. Himmler versponnen, Hess gläubig, Goebbels zynisch, Göring gleichgültig. Gemeinsam zeigt dieses Panorama: Selbst in einem Regime, das sich mit moderner Technologie und kaltem Terror schmückte, blieben alte Muster lebendig – der Blick in die Sterne als Versuch, das Unfassbare zu ordnen.
6. Kalter Krieg und kosmische Termine
Nach 1945 hätte man meinen können, Astrologie sei endgültig ins Reich der Illustrierten und Jahrmarktbuden verbannt. Doch gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts blühte sie wieder – diesmal nicht in Palästen, sondern in Präsidentenhäusern und modernen Demokratien. Der Blick zu den Sternen blieb ein stiller Begleiter der Macht.
Ronald & Nancy Reagan – die Astrologin im Weißen Haus
In den 1980er Jahren gelangte Astrologie mitten ins Herz der westlichen Politik: ins Weiße Haus. Nach dem Attentat auf Ronald Reagan 1981 zog seine Frau Nancy Reagan die Astrologin Joan Quigley ins Vertrauen. Quigley wurde zu einer unsichtbaren Mitgestalterin des Terminkalenders: Staatsbesuche, Reden, sogar Reisen wurden nur angesetzt, wenn die Sterne günstig standen.
Öffentlich sprach man darüber nicht – die USA wollten einen rationalen Präsidenten, keinen Horoskop-Leser. Doch Nancy hielt an Quigley fest, überzeugt, dass kosmisches Timing den Präsidenten schütze. Für die Gegner war es ein gefundenes Fressen, für Anhänger ein Zeichen, dass auch höchste Politik auf „Intuition“ setzt.
Indien – Jyotish als Staatskultur
Noch klarer war die Rolle der Astrologie in Indien. Dort gehört das Jyotish-System zur kulturellen DNA. Indira Gandhi, Premierministerin und Symbolfigur des modernen Indien, ließ sich von Astrologen beraten – und sie war damit keineswegs allein. Wahltermine, Amtseinführungen, sogar Parlamentsentscheidungen wurden nach günstigen Sternenlagen gewählt.
Im Westen mag das exotisch wirken, in Südasien ist es Alltag: Politiker riskieren Glaubwürdigkeitsverlust, wenn sie astrologische Beratung komplett ignorieren. Jyotish ist dort keine Kuriosität, sondern ein etabliertes Element von Politik und Gesellschaft.
Globale Tendenz
Auch in anderen Ländern tauchte Astrologie in den Hinterzimmern der Macht auf: diskret in Europa, selbstverständlich in Asien. Manager und Spitzenpolitiker konsultierten Horoskope privat, selbst wenn sie es nie öffentlich zugaben. In der bipolaren Welt des Kalten Krieges, in der Atomkriege drohten und Ideologien prallten, war die Suche nach „kosmischer Absicherung“ kein Witz, sondern ein psychologisches Ventil.
7. Axel Springer – der Medienmogul und seine Sterne
Mit Axel Springer betritt die Astrologie endgültig die Bühne der Moderne – nicht mehr als Hofritual, nicht mehr als okkulte Fantasie eines SS-Führers, sondern als diskrete Begleiterin eines der mächtigsten Verleger der Nachkriegszeit.
Axel Springer (1912–1985) war der Mann hinter Bild, Die Welt und dem größten Zeitungskonzern der Bundesrepublik. Er formte die öffentliche Meinung, polarisierte wie kaum ein anderer, und verstand es meisterhaft, Politik über Medien zu steuern. Doch so kühl kalkulierend er im Geschäft war, so empfänglich blieb er im Privaten für astrologische Deutungen.
Springer soll regelmäßig Astrologen konsultiert haben, um günstige Zeitpunkte und persönliche Entscheidungen abzusichern. Offiziell sprach er darüber nicht – im nüchternen Westdeutschland der fünfziger und sechziger Jahre hätte das seine Autorität untergraben. Aber hinter den Kulissen war es kein Geheimnis: Freunde und Weggefährten wussten um seinen Hang, die Sterne befragen zu lassen.
Man muss sich die Ironie vorstellen: Während Springers Zeitungen sich gern über „Horoskop-Gläubige“ mokierten, fragte der Chef selbst im Stillen nach. Und das war keine Laune: Für jemanden, der täglich Schlagzeilen wie Kanonenschüsse auf die Republik abfeuerte, war die Vorstellung tröstlich, dass eine kosmische Ordnung hinter allem stand. Astrologie war für Springer nicht Ersatz für Strategie, sondern eine zweite Ebene der Orientierung – ein symbolischer Kompass inmitten von Politik, Machtkämpfen und medialem Dauerfeuer.
In gewisser Weise schließt sich hier der Kreis: Vom babylonischen König bis zum Berliner Medienzar bleibt die Sehnsucht gleich – die Hoffnung, dass die Sterne etwas mehr wissen als man selbst.
8. Warum die Mächtigen den Himmel befragen
Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Je mächtiger ein Mensch wird, desto stärker klammert er sich an kosmische Deutungen, Rituale und Zeichen. Man könnte erwarten, dass Könige, Feldherren oder Verleger sich auf Fakten, Armeen oder Schlagzeilen verlassen. Aber immer wieder zeigt sich: Die Sterne spielen mit.
Macht bedeutet Unsicherheit
Macht ist kein fester Thron, sondern ein wackliger Stuhl. Je höher der Aufstieg, desto tiefer der mögliche Fall. Wer allein entscheidet, trägt die Verantwortung für Millionen – und spürt die Last des Ungewissen. In solchen Momenten erscheint die Astrologie wie ein Rettungsring: Sie gibt Orientierung, wo die Realität nur Chaos bietet. Wallenstein vertraute Seni, weil Schlachten unkalkulierbar sind. Nancy Reagan brauchte Joan Quigley, weil ein Attentat den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Astrologie als Sinnstifter
Astrologie bietet keine Waffen, keine Wählerstimmen, keine Schlagzeilen. Aber sie bietet Sinn. Sie spinnt eine Geschichte, in der Ereignisse nicht bloß Zufall sind, sondern Teil eines größeren Musters. Für Herrscher und Präsidenten ist das mehr als Trost – es ist Legitimation. Wer von den Sternen „bestätigt“ ist, kann sich als Werkzeug eines Schicksals fühlen, nicht nur als Getriebener der Tagespolitik.
- Augustus ließ den Steinbock auf Münzen prägen, um kosmische Weihen vorzutäuschen.
- Napoleon nutzte Symbole, Omen und Zahlen, um seine Herrschaft mythologisch aufzuladen.
- Axel Springer fand in Horoskopen den Hauch eines Plans, der größer war als sein Redaktionsnetzwerk.
Psychologische Nähe und persönliche Rituale
Astrologie hat auch eine intime Seite. Horoskope sind wie Spiegel – sie erlauben den Blick auf innere Konflikte, ohne das Gesicht zu verlieren. Himmler ließ sich kosmische Germanenmärchen erzählen, weil er darin eine Heimat für seine Versponnenheit fand. Hess suchte die Bestätigung seines „Sendungsbewusstseins“. Und selbst nüchterne Manager oder Offiziere schieben Entscheidungen gern auf ein „Zeichen“ – nicht, weil sie naiv sind, sondern weil es die Last der Verantwortung lindert.
Zwischen Theater und Ernst
Astrologie ist immer auch Inszenierung. Herrscher, die sich mit Sternzeichen schmückten, wussten: Das Volk sieht gern einen König, der nicht nur von Geburt, sondern vom Himmel legitimiert ist. Versailles war ein Sternensystem aus Stein, Reagans Terminkalender ein unsichtbares Ritual. Selbst wenn man nicht glaubt, dass Planeten Kräfte ausstrahlen – die Erzählung wirkt. Sie gibt Autorität, sie macht Politik zum Schicksalstheater.
Das stille Fortleben im 21. Jahrhundert
Heute äußert kein Regierungschef mehr offen: „Ich habe die Sterne gefragt.“ Zu groß wäre der Spott. Aber in Asien ist es weiterhin selbstverständlich, und im Westen verlagert es sich ins Private. Manager konsultieren „Coaches“, Politiker lesen heimlich Horoskope, Medienmogule suchen nach günstigen Zeitpunkten. Die Praxis lebt – nicht als Relikt, sondern als stiller Schatten.
Der rote Faden
Von Babylon bis Springer zieht sich eine Linie durch die Geschichte: Astrologie war nie bloß privates Vergnügen, sondern immer auch politisches Werkzeug, psychologische Krücke und Bühne für Selbstinszenierung.
- Für die einen (Himmler, Hess) war sie spirituelle Heimat.
- Für andere (Goebbels) nur ein nützliches Instrument.
- Für wieder andere (Napoleon, Reagan, Springer) ein stiller Kompass in Momenten der Unsicherheit.
Astrologie ist damit weniger ein „Aberglaube“ als ein Spiegel: Sie zeigt die Schwächen der Mächtigen, ihre Sehnsucht nach Ordnung, ihre Angst vor dem Zufall. Und sie offenbart die vielleicht größte Ironie der Geschichte: Selbst dort, wo Menschen meinten, die Welt mit eiserner Hand zu beherrschen, blickten sie in den Himmel, als wären sie genauso unsicher wie jeder andere.
Schlusswort: Unter dem gleichen Himmel
Mächtige thronen in Palästen, unterschreiben Dekrete, schicken Armeen ins Feld und lenken mit einem Federstrich das Leben von Millionen. Aber wenn die Türen sich schließen und die Nacht hereinbricht, blicken sie wie alle anderen zum Himmel. Dort oben, wo seit Jahrtausenden dieselben Sterne leuchten, suchen sie Trost, Bestätigung, vielleicht auch Vergebung.
Die Astrologie erzählt ihnen, dass sie Teil eines größeren Plans sind – nicht allein, nicht verloren im Zufall, sondern eingewoben in ein Muster aus Zeit und Bedeutung. Ob diese Deutung „wahr“ ist, spielt am Ende keine Rolle. Sie wirkt. Sie ordnet. Sie macht das Unerträgliche erträglich.
So spannt sich ein stiller Bogen durch die Geschichte: Von den Priestern Babylons bis zu Axel Springer, von Nostradamus bis Joan Quigley. Ein roter Faden aus Hoffnung und Angst, Macht und Ohnmacht, menschlich und allzu menschlich.
Denn am Ende sind selbst Kaiser, Generäle und Medienmogule nur das, was wir alle sind: Sterbliche, die unter einem unendlichen Himmel Antworten suchen – und manchmal in den Sternen mehr finden, als sie jemals in Akten oder Armeen fanden.







